Anfang September ist die zweite Ausgabe von „Sportlich unterwegs“ erschienen. In der Ausgabe haben wir uns mit einer Sportlerin aus Hagen beschäftigt, die bundesweit als Sumo-Pionierin für Schlagzeilen sorgte. Hier ist die Geschichte von Nicole Hehemann:
Nicole Hehemann ist fünf Jahre alt, als sie zum ersten Mal reinschnuppert. Eigentlich darf sie noch gar nicht, denn beim Hagener SV sind die jüngsten Judoka damals, Anfang der 1980er-Jahre, sieben Jahre alt. Aber sie will unbedingt. Und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Ein Weg, der sie bis nach ganz oben führen wird und irgendwann auch mit dicken Männern aus Japan zu tun hat.
„Als Kind bin ich es eher gemütlich angegangen. Ich war zwar bei Turnieren dabei, aber das war es auch schon. Irgendwann habe ich dann Kämpfe gewonnen und gemerkt, dass sich das ganz gut anfühlt“, erinnert sich Nicole Hehemann. Die 44-Jährige hat sich auf den Boden eines Materialraums der Hagener Turnhalle gepflanzt. Sie liegt da, fast wie auf einem Sofa. Tiefenentspannt. In der Halle läuft Judotraining. Es gibt Sportler, die können jeden ihrer Erfolge mit exaktem Datum und allem Pipapo aufzählen. Nicole Hehemann kann das nicht. Sie kommt schon bei den Jahreszahlen ins Schleudern. „Bei mir stand immer der Spaß im Vordergrund“, sagt sie. Vielleicht sind es auch einfach zu viele Sportarten und Erfolge in ihrem Leben.
Komische Hosen
Als jugendliche Judoka kämpft sie sich in die Landesauswahl hoch. Mit 16 Jahren – sie spielt nebenbei noch Handball – wirft sie ihre Gegnerinnen bereits in der Bundesliga auf die Matte. Sie tritt für eine brandenburgische Mannschaft an und dann für den Osnabrücker TB. Hehemann wird deutsche Vizemeisterin. Und dann auch Pionierin einer Sportart, die man gemeinhin mit Japan, dicken Männern in komischen Hosen, die sich rüde anpacken und hauen, verbindet: Sumo.
Der traditionelle Sumo-Gürtel Mawashi
Doch wir sind nicht in Japan, wir sind immer noch in Hagen. Nicole Hehemann zieht plötzlich einen Mawashi, den traditionellen Sumo-Gürtel, diese „komische Hose“, an. „Einige Judoka haben das damals angefangen. Ich bin 1996 völlig ahnungslos zu einem Turnier nach Frankfurt gefahren. Wir waren die ersten fünf Frauen in Deutschland, die das gemacht haben. Am Wettkampftag selber hat man mir kurz die Regeln erklärt. Und dann ging es los.“
Judo-Techniken kombiniert mit Sumo-Ringen – so sehen die ersten Kämpfe der deutschen Sumo-Ringerinnen aus. Die Pionierinnen müssen sich manchmal blöde Sprüche gefallen lassen. Aber nicht von den männlichen Sumoringern, betont Hehemann. Nach und nach schwappt das Knowhow von Asien nach Europa. 1998 holt Nicole Hehemann Bronze bei den Europameisterschaften. Sie beherrscht mittlerweile die Techniken. Natürlich kommen ihr ihre Judo-Qualitäten zugute, aber irgendwie ist Sumo dann doch ganz anders. „Beim Judo kann man kleinere Fehler, kleinere Wertungen für die Gegnerin noch korrigieren. Beim Sumo nicht. Da reicht ein kleiner Fehler und man ist raus“, sagt Hehemann. Und sie schiebt nach: „Ich bin zwei Mal für vier Sekunden nach Japan geflogen. Nach vier Sekunden hatte ich meinen Kampf jeweils verloren.“
„Japan“, ergänzt sie lachend, „ist wohl nicht mein Land.“ Die Gegnerin muss beim Sumo aus dem Ring (Durchmesser 4,55 Meter) geschoben oder solange bearbeitet werden, bis ein anderes Körperteil als die Füße auf den Boden gelangen. Nicole Hehemann schaffte das immer häufiger im Mittelgewicht, der Gewichtsklasse bis 80 Kilogramm.
„Ich mache mich doch nicht vor Dieter Bohlen zum Horst.“
„Es geht um ganz viel Energie und absolute Konzentration“, schwärmt sie. Sie wurde Europameisterin (Einzel) und Weltmeisterin (Mannschaft). Hinzu kamen etliche weitere Medaillen. Das Fernsehen wurde auf sie aufmerksam. Nach einem ersten Auftritt („Mein Mann kann“) merkte sie aber, dass sie und die anderen Sumoringerinnen nur vorgeführt werden sollten, so wie irgendeine Attraktion eines Wanderzirkus. Das will sie nicht. Die Redaktion von „Das Supertalent“ rief an. Sie solle ihre Fähigkeiten vorführen. Sie sagte ab. „Ich mache mich doch nicht vor Dieter Bohlen zum Horst.“
Ein großes Exotentreffen
Sie ist seit knapp fünf Jahren nicht mehr in den Ring gestiegen. Es habe zu viel Knatsch im Verband der deutschen Sumoringer gegeben. Deswegen habe sie aufgehört. Sie erinnert sich an die wundervollen Zeiten als Sumo-Pionierin: „Wir internationalen Sumoringer haben bei Turnieren hart gekämpft und später im Hotel zusammen ordentlich gefeiert.“ Besonders beeindruckend seien 2005 die World Games, die Spiele der nichtolympischen Sportarten, gewesen. Ein großes Exotentreffen, bei dem man als Hagener Sumoringerin gar nicht auffiel. Bronze nahm Nicole Hehemann damals mit nach Hause.