1992, im Jahr als Dänemark völlig überraschend Fußball-Europameister wird, stemmt auch Sebastian Magga seinen ersten Pokal in die Höhe. Er ist damals sieben Jahre alt und gewinnt bei einem Volkslauf den Bambini-Lauf über 400 Meter. Der Pokal hat bis heute einen Ehrenplatz in seinem Osnabrücker Haus.
27 Jahre später, im Juni 2019, läuft Sebastian Magga 100 Kilometer, in Worten: einhundert. Das sind umgerechnet 250 Bambini-Läufe. Nach 13 Stunden (Netto-Laufzeit etwa 12 Stunden) ist er im Ziel. „Ich war damals so erlöst und sehr dankbar, weil mich so viele tolle Menschen unterstützt haben, die dann auch im Ziel auf mich gewartet haben. Mir kamen die Tränen“, so der heute 35-Jährige. Sein Lauf, der „Seb100“, startete um 3 Uhr nachts, kurzfristig um einige Stunden vorverlegt wegen der angekündigten Hitze. Freunde und Teamkollegen aus dem Trail Team Osnabrück begleiteten Sebastian Magga etappenweise. Drei anspruchsvolle Runden a etwa 34 Kilometer rund um den Dörenberg nahe Oesede standen auf dem Programm, hinauf bis zum Fuß des Hermannsturms. Freunde und Bekannte warteten an Verpflegungsständen. Immer wieder am Rand der Strecke dabei war Maggas Freundin Wibke. Eigentlich sollte dieser Lauf viele hundert Kilometer südlicher und zwei Wochen vorher stattfinden. Aber dazu später mehr.
Für jeden seiner atemberaubenden Läufe, von denen die spektakulärsten meist aus einer Bierlaune heraus mit guten Freunden entstanden sind, hat die Freundin eine „Freigabe“ gegeben. Das war und ist Sebastian Magga wichtig. Und „Freigaben“ gab es einige in den letzten Jahren.
Magga wurde in Hannover geboren. Nach dem Studium und einer ersten beruflichen Station in Münster landet er 2011 in Osnabrück, der Liebe wegen. Heute ist er in leitender Funktion bei der Firma Piepenbrock tätig. Schon im Kindergartenalter nimmt er die Beine in die Hand. Seine Großeltern sind begeisterte Marathonläufer. Sie nehmen den kleinen Sebastian mit zum Training und zu ersten Volksläufen. Der Ehrgeiz packt ihn. Er sammelt Urkunden und Abzeichen für „Challenges“. Anfangs geht es darum, 15 Minuten am Stück zu laufen, dann werden es 30 Minuten, dann noch mehr. Als Teenager gibt es kurze Ausreißer zur Freiwilligen Feuerwehr und zum Fußball, später auch mal zum Rugby. Aber Laufen spielt fast immer die erste Geige. Im bunten Studentenleben schleichen sich gelegentlich Pausen ein, doch der Reiz oder das, was Magga heute als „Sucht“ bezeichnet, hört nie auf.
Halbmarathon, Marathon und noch mehr!
Lange Zeit ist der Halbmarathon seine Lieblingsdistanz. 2009 läuft er in Bremen seinen ersten Marathon. Pacemaker ist sein Onkel. Sebastian Maggas komplette Familie ist laufbegeistert. Vor vielen, vielen Jahren wurde sie als „Running Family“ in der Hannoverschen Tageszeitung Neuen Presse vorgestellt. „Der Onkel hat mich durch den ersten Marathon gebracht. Unsere angestrebte Zielzeit war vier Stunden. Tatsächlich kamen wir nach 3:58 Stunden ins Ziel“, so Magga. Im Vorfeld hatte er angekündigt, höchstens alle zwei Jahre einen Marathon zu laufen, denn dieser sei ja nicht gut für die Gesundheit. Pustekuchen!
Sieben Jahre später hat Magga etliche Marathonläufe auf dem Buckel und läuft seine persönliche Bestzeit. Für die 42,195 Kilometer benötigt er keine drei Stunden (2:59:45). „Das war eine Grenzerfahrung. Zwischendurch hatte ich nur den Gedanken: Ziellinie oder Krankenwagen? Eine All-In-Situation“, erinnert er sich. Er beißt sich durch. Und dann? Neue Herausforderungen müssen her. Die Zeit der reinen Straßenläufe ist für ihn vorbei. Es zieht Sebastian Magga ins Gelände (Traillauf) und zu Distanzen jenseits der Marathonziellinie. Alles, was über die Marathondistanz hinausgeht, bezeichnet man als Ultralauf.
2016 trinkt Magga mit Lauffreunden einige Glühwein auf dem Osnabrücker Weihnachtsmarkt. Optimale Bedingungen, um Pläne zu schmieden. Ein Freund berichtet vom Transalpine-Run. 270 Kilometer und 16.000 Höhenmeter in sieben Tagen. Der Freund schickt ihm Videos. Die Freundin erteilt wieder einmal eine „Freigabe“. Und acht Wochen nach dem Weihnachtsmarkt ist Magga angemeldet. Im September 2017 absolviert er den Transalpine-Run. Mit dabei sind 17 weitere Läufer aus Osnabrück und Umgebung; die Geburtsstunde des Trail Team Osnabrück.
Fünf Weizenbiere und einige Sambuca im Osnabrücker Pizzahaus ebnen im November 2018 den Weg zum 100-Kilometer-Lauf. Sebastian Magga und Sven Kösters planen, ihre beiden Partnerinnen erteilen „Freigaben“. Noch in der Nacht melden sich die beiden online für den Zugspitz Ultratrail an. Der Name verrät, dass neben der unfassbaren Distanz auch einige Höhenmeter im Programm sind. Dass es Monate später auf den Dörenberg bei Oesede und nicht in die Alpen geht, um die 100 Kilometer am Stück zu packen, ahnt damals noch keiner.
„Ich war emotional ganz unten!“
Die Vorbereitung beginnt. Magga professionalisiert sein Training, hat nun auch einen Coach an Bord. Im Juni 2019 reist er einige Tage vor dem Lauf in den Süden. Er quartiert sich in einem Hotel ein. „Wellness. Körper und Seele entspannt. Die Vorbereitung war optimal“, so Magga. Und dann kam der große Knall: Wegen angekündigter Gewitter und Starkregen verkürzt der Veranstalter den Lauf auf 63 Kilometer. „Ich war emotional ganz unten. Ich habe mich so lange auf die 100 Kilometer vorbereitet und dann gibt es die auf einmal nicht mehr“, erzählt Magga. Es ist so, als hätte man dem siebenjährigen Sebastian die Teilnahme am Bambini-Lauf verboten. Er tritt zwar an, bricht aber nach 35 Kilometer ab.
Abends trinkt er mit seinem Kumpel Hans-Bernd Mergelmeyer einige Bier. „Was machen wir jetzt?“, fragt Mergelmeyer. Magga überlegt hin und her. Mergelmeyer sagt: „Wir machen Dir einen eigenen Lauf“. Die Idee für den „Seb100“ ist geboren. Am 29. Juni 2019 läuft Sebastian Magga seine 100 Kilometer. Morgens um 3 Uhr stehen 17 Lauffreunde am Start und begleiten ihn. Mergelmeyers Tochter spielt Trompete, damit Alpen-Feeling aufkommt. Hintenraus wird es hart. „Selbst leichte Steigungen waren in der letzten Runde schlimm“, erinnert sich Magga. Aber er packt es. Er trinkt gut 14 Liter. Viele Begleiter motivieren und versorgen ihn. Den Körper permanent und ausgewogen mit Energie zu versorgen, ist bei solch extremen Läufen die große Herausforderung. Für 2021 hat Sebastian Magga schon eine neue Herausforderung im Kopf. Aber der Plan ist noch nicht ganz spruchreif. Die „Freigabe“ der Freundin muss auch noch eingeholt werden.
Wer bei Strava angemeldet ist, kann sich hier die Strecke vom „Seb100“ ansehen: