Autor: Jonas E. Koch
Vor 123 Jahren entsteht im Osnabrücker Ortsteil Schinkel der Verein für Leibesübungen von 1899 e.V. Nach dem Zweiten Weltkrieg werden zahlreiche kleine Vereine zum heutigen VfL Osnabrück zusammengeführt. Von Beginn an steht der Fußball im Mittelpunkt, die Lila-Weißen qualifizieren sich 1981 für die neue eingleisige Zweite Bundesliga. Es folgen Ab- und Wiederaufstiege.
Der VfL hat heute eine außergewöhnlich engagierte und blühende Fanszene, zelebriert den Mythos „Bremer Brücke“, ist lokale Kulturinstitution, gilt als fan- und familienfreundlich. Mit diesem VfL fiebern Fans aller Generationen mit, prahlen stolze Einwohner vor ortsfremden Besuchern. Jedenfalls dann, wenn es sportlich gut läuft. In der Saison 2009/2010 läuft es so richtig gut. Im DFB-Pokal erreichen die Lila-Weißen das Viertelfinale, der Wiederaufstieg in die Zweite Bundesliga gelingt.
Durch den Aufstieg werden in Osnabrück große Träume von einer glorreichen Zukunft im Profifußball geweckt. Doch mit dem Aufstieg sind auch hohe Auflagen der Deutschen Fußball Liga (DFL) für Technik, Sicherheit und Infrastruktur verbunden. Insbesondere kleinere Vereine stellt dies vor finanzielle Schwierigkeiten, so auch den VfL Osnabrück. Um jeden Preis wollten die Lila-Weißen damals Zweitliga-Mannschaft sein. Doch es läuft nicht rund für den VfL, zuerst sportlich, dann auch finanziell. Die Stadt beschließt, zumindest die finanzielle Last mit Millionenzuwendungen zu nehmen. Seitdem fließen immer wieder lila-weiße Millionen, konkret Steuergelder. Hängt der VfL am Tropf der Stadt?
Große Träume: Die Ausgliederung
Im Jahr 2012 berichtet das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ von Ungereimtheiten bei der Haushaltsplanung des VfL, als ein Minus von fast einer Million Euro anfiel. In jenem Jahr hat der Verein über neun Millionen Euro Schulden angehäuft und ist praktisch insolvent. Schließlich spannt die Stadt einen Rettungsschirm auf. Aus dem VfL werden zwei VfL’s. Denn Ende 2012 wird die VfL GmbH & Co. KGaA geboren, die eine Lizenzmannschaft, also damals die Drittliga-Profis, und – gemeinsam mit dem Verein – ein Nachwuchszentrum unterhält. Sie lizensiert Schals, Pullover, Bettwäsche, Rucksäcke, Socken, Masken und natürlich die Trikots des Vereins und sorgt so für Einnahmen.
Eine solche Ausgliederung ist nichts Ungewöhnliches – zahlreiche Vereine haben in der Vergangenheit wirtschaftliche Aktivitäten ausgelagert. „So eine Ausgliederung war damals verpflichtend, jedenfalls hat man uns das so verkauft. Ich kann das nach reiflicher Prüfung heute nicht bestätigen, habe damals aber auch für die Ausgliederung gestimmt. Das war ein großer Fehler”, sagt Chris Determann, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Osnabrücker Stadtrat auf Anfrage unserer Redaktion. Auch Axel Balzer, damals Fanvertreter im Aufsichtsrat, hielt die Konsolidierung in dieser Form für unnötig.
Mit der Ausgliederung der wirtschaftlichen Aktivitäten soll der Verein für externe Kapitalgeber geöffnet, Kosten sollen reduziert werden, um die chronische Unterfinanzierung zu beenden. Die Stadt fordert vom VfL beim Jugendzentrum eine Kostenreduzierung um 600.000 Euro. Der damalige VfL-Präsident Gert Lehker äußert 2012 gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ): „Die Bedingungen sind uns bekannt, wir akzeptieren sie.“ Zur Kontrolle entsendete die Stadt laut Linken-Politiker Determann einen Beauftragten in den Beirat der neuen GmbH & Co. KG aA.
Zur Ausgliederung bekommt der Verein noch ein Darlehen über rund 3,6 Millionen Euro. Dieser Hilfsplan der Stadt sei die letzte Chance für den VfL, sagt der damalige Oberbürgermeister Boris Pistorius und heutige Innenminister Niedersachsens 2012 bei der Vorstellung des Rettungsplans im Stadtrat; eine „Hilfe zur Selbsthilfe“. Der Schuldenschnitt sei die letzte Chance, titeln damals auch lokale Medien.
Als Retter galt damals der Geschäftsmann Jürgen Wehlend. Er wird 2013 von der Telekommunikationsfirma osnatel, bis 2009 noch eine Tochter der Stadtwerke Osnabrück und Namenssponsor des Stadions, zum VfL geholt. Wehlend hat den VfL Ende 2020 in Richtung Dynamo Dresden verlassen.
Das Stadion: Die zweite Ausgliederung
Im Jahr 2015 bekommt auch das marode Stadion an der Bremer Brücke, das hoch defizitär ist, eine zweite Chance. Im Gespräch war ursprünglich, dass die Stadt das Stadion inklusive Schulden für etwa 7,6 Millionen Euro übernehmen und dann wieder an den Verein vermieten könnte. Schließlich wird das Stadion stattdessen ausgegliedert, von der Stadt mit 3,2 Millionen Euro unterstützt und ist seitdem als „Stadion-KG“ bekannt.
Diese Stadiongesellschaft gibt damals von den Geldern 2,2 Millionen Euro an den Verein weiter, der damit ebenfalls entschuldet wird. Die Rückzahlung soll durch eine „variable Pacht“ ersetzt werden – laut NOZ fast eine halbe Million Euro jährlich.
Die DFL drängt zur Saison 2020/21 wieder einmal zu regulatorischen Ausbauten am Stadion. Der VfL erhält eine zweite letzte Chance. Obwohl eine Machbarkeitsstudie den Umbau des Stadions für möglich hält, diskutieren Stadt und Verein bereits über einen Neubau. Dieser sollte in direkter Nachbarschaft zu einem weiteren Herzenswunsch des VfL entstehen: einem neuen Leistungs- und Jugendzentrum im Osnabrücker Stadtteil Gartlage.
So verkündete Thomas Fillep, Kämmerer der Stadt Osnabrück, schon 2019 zur großen Überraschung vieler, dass sogar Geld für einen kompletten Stadionneubau zur Verfügung stünde. Dies sei „unter Umständen“ finanzpolitisch nachhaltiger. Stadt und Verein verhandelten offenbar bereits, was insbesondere die Osnabrücker Grünen damals kritisierten. „Beim Radwegebau, dem Busnetz und der Kultur hat der Hüter der Finanzen gerade noch vor steigenden Belastungen des Haushaltes gewarnt. Und jetzt hat er auf einmal kein Problem mit einer noch gar nicht bezifferbaren Summe im hohen zweistelligen Millionenbereich. Das ist finanzpolitisch fragwürdig. Einen solchen Blindflug halten wir nicht für verantwortbar“, kritisierte damals der Grünen-Ratsherr Volker Bajus.
Statt in einen Neubau wird letztlich dann doch in das „alte“ Stadion investiert. Schlussendlich stellte die Stadt über ihre Beteiligungsgesellschaft OBG, der Muttergesellschaft der Stadtwerke, einige Millionen in Form einer fest verzinslichen Rücklage zur Verfügung. Eine entsprechende Absichtserklärung hatten laut Pressemitteilungen der Lila-Weißen VfL-Präsident Werner Hülsmann, der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Griesert und Stadtkämmerer Thomas Fillep im Mai 2019 unterschrieben – in lila Tinte auf weißem Papier. „Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass der Mythos Bremer Brücke erhalten bleibt und in Osnabrück auch in Zukunft erfolgreich Fußball gespielt wird“, so der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Griesert im Mai 2019 im Finanzausschuss der Stadt. Auf Rückfragen unserer Redaktion zu diesem Beitrag wollte sich Griesert nicht äußern.
Das KME-Debakel
Zurück zum geplanten Jugendleistungszentrum, dem Herzensprojekt des VfL: Konkret will der Verein ein neues Trainingszentrum für die Profimannschaft, ein neues Jugendzentrum und einen Kunstrasenplatz. Der VfL verweist wieder auf den Druck, konkurrenzfähig sein zu müssen, und natürlich auf die Auflagen des DFB bzw. der DFL.
Die Pläne sind ambitioniert: Alle Plätze sollen mit Flutlicht ausgestattet werden, eine Rasenheizung soll es ebenso geben wie ein großes Funktionsgebäude. Auch einen Ort hatte sich der VfL bereits ausgesucht: direkt gegenüber der dann frisch sanierten Bremer Brücke am Gründungsort im Stadtteil Gartlage sollte der VfL zu seinen Wurzeln zurückkehren. Ein Teil des gewünschten Geländes gehört bereits der Stadt, der andere der Kabel Metall Europa (KME). Eine erste Kalkulation ergab geschätzte Kosten in Höhe von etwa 20 Millionen Euro. Die Stadt wollte das Grundstück von der KME erwerben und den Boden an den VfL verpachten, aber formell in Besitz behalten.
Diese Einigung wurde heftig kritisiert. Bereits im Vorfeld hätten der VfL-Geschäftsführer, der ehemalige Chef der VfL GmbH, der Chef der Osnabrücker CDU und die Verwaltungschefin im kleinen Kreis zusammengesessen „und die Dinge ausbaldowert. Man fängt an, sich Dinge zuzuschieben und zu versprechen”, sagt ein Mitglied des Stadtrats, das namentlich nicht genannt werden will. Thomas Thiele, Fraktionsvorsitzender der FDP im Rat der Stadt Osnabrück, dazu: „Das ist Kungeln mit öffentlichen Geldern. Daran krankt das ganze System und ich bin nicht bereit, verdeckte Finanzierungen für den VFL zu leisten.” Der CDU-Fraktionsvorsitzende Fritz Brickwedde kann kein Fehlverhalten erkennen: „Da gibt es nichts, was nicht sauber gelaufen ist.“
Der VfL hatte bereits 2016 die Stadt gebeten, sich mit 25 Prozent an den Kosten zu beteiligen. Insgesamt, so schätzte damals die lokale Online-Zeitung „Hasepost“, könnte das Projekt die Stadtkasse daher mit bis zu zehn Millionen Euro belasten. Der Rest der Kosten, so hofften wohl der VfL und die Stadt, könne durch Beteiligungen des Landes und des Landkreises gestemmt werden. „Durch den DFB kommt die Stadt immer wieder in die Bringschuld. Ich sehe nicht ein, dass die Stadt für so etwas aufkommt. Der VfL wird zum Bittsteller und sagt dann ‘Ja wir brauchen jetzt fünf Millionen Euro von der Stadt, weil das verpflichtend ist’. Das ist nicht korrekt”, kritisiert Linken-Politiker Determann.
Die Verhandlungen mit dem Unternehmen KME scheitern spektakulär. Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ schrieb im September 2021: „Der ehemalige Oberbürgermeister Wolfgang Griesert hatte noch bei einer Pressekonferenz im April 2021 auf Nachfrage keine Zweifel gehabt, dass der Kauf realisiert werden würde.“ Kurz vor der Kommunalwahl 2021 im September platzen die Verhandlungen, weil KME laut Stadt Osnabrück nach mündlicher Zusage plötzlich zwei Millionen Euro mehr für das Grundstück verlangt haben soll. „Wenn die ursprünglich beschlossene Summe deutlich überschritten wird, ist das Projekt auf dem KME-Gelände gestorben“, wurde die CDU-Kreisvorsitzende Verena Kämmerling im August 2021 in der Online-Tageszeitung „Osnabrücker Rundschau“ zitiert. Und so kam es letztlich auch. Ein Burgfriede kurz vor der Wahl 2021 sieht laut Lokalpolitiker Determann vor, die vollkommen marode Sportstätte am Schinkelberg für etwa 1,6 Millionen Euro zu einem modernen Trainingszentrum auszubauen; die derzeit dort trainierenden Vereine Türkgücü, SC Bosna und Blau-Weiß Schinkel müssten demnach weichen. „Plötzlich muss alles neu am Schinkelberg gemacht werden, was bereits vorhanden ist. Das fällt mir schwer zu verstehen“, beschwert sich FDP-Politiker Thiele. Etwa zwei Wochen vor der Kommunalwahl 2021 wird der Plan im Eilverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit von den Fraktionen CDU und SPD durch den Verwaltungsausschuss gedrückt. Ein Beschluss des Stadtrates gibt es zu der Angelegenheit nicht. Die UWG hat bereits die Kommunalaufsicht angerufen, der Bund der Steuerzahler ist eingeschaltet.
„Geklüngel“ oder nachhaltige Lokalpolitik?
Der Vorwurf des „Geklüngels“ im Verhältnis von VfL und Stadt Osnabrück ist nicht neu. Wo hört Sportförderung auf? Wo fängt verdeckte Subventionierung an? Für viele Politikerinnen und Politiker ist der VfL echte Herzenssache, manche sind auch Mitglied. Und ein bisschen lila-weiße Schminke gehört zu jedem Wahlkampf dazu.
Einer der wenigen, der öffentlich die Nähe von Politik und VfL kritisiert, ist FDP-Politiker Thiele. Er ist selbst Mitglied beim VfL, unterstützt ihn, findet aber, dass transparente Politik nicht verdeckt mit öffentlichen Geldern für den Verein operieren darf. Frank Henning, SPD-Landtagsabgeordneter, langjähriger städtischer SPD-Fraktionsvorsitzender und ebenfalls Mitglied beim VfL, weist Vorwürfe der Intransparenz zurück: „Die Kritik kann ich in keiner Weise nachvollziehen. Sie suggeriert einen Interessenskonflikt, den es nicht gibt. Natürlich sind wir nicht befangen in solchen Fragen. Da gibt es nichts zu trennen.“
Thiele hingegen ist sich sicher: „Das, was an den VfL geht, läuft teilweise auch verdeckt. Das viele Geld, das in unklaren Kanälen versickert, muss transparent gemacht werden.“ Beispielsweise würden auch städtische Unternehmen für die Förderung des VfL eingespannt werden: „Und das bekommt man nur mit, wenn man in den Gremien und Aufsichtsräten ist!“ Linken-Politiker Determann bestätigt: „Geld schießt die Stadt auch über die Stadtwerke rein. Die Stadtwerke sind Großsponsor und sogar Anteilseigner.“ Für ihn gleiche das einer Finanzierung des VfL über Schattenhaushalte: „Projektfinanzierungen wie Tribünen-Neubau oder Stadionausbau sind in jedem Fall kritisch zu betrachten. Denn es ist nicht die Aufgabe der Stadt, dafür zu sorgen, dass der VfL in der Zweiten Liga spielt.“ Man könne den VfL sponsern, so Determann, aber dieses „Geklüngel“ von Stadt und VfL müsse aufhören. SPD-Mann Henning, der auch im Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat von Sparkasse, Stadtwerken und OBG saß, sieht das anders: „Wir sollten bei der Sparkasse, bei der Stadt und den Stadtwerken in die Finanzen schauen, und sehen, was an Unterstützung machbar ist.“
Am Tropf der Stadt?
Faktisch ist der VfL für sein Überleben auf immer neue städtische Zuwendungen angewiesen, kann Investitionsprojekte allein nicht stemmen. Für die Stadt soll der VfL vor allem Aushängeschild Osnabrücks sein. Ökonomisch hat der VfL eine überschaubare, aber doch vorhandene Relevanz. Viele kleine Bars und Gewerbe im Umfeld des Stadions mögen profitieren. Eine Zunahme von Hotelübernachtungen oder touristischen Einfluss gibt es laut Tourismusverband jedoch nicht. Ist der VfL die lila-Weißen Millionen als „Werbeträger“, wie es so oft heißt, wirklich wert?
Nein, sagen Kritiker und verweisen darauf, dass einer privaten Gesellschaft keine öffentlichen Mittel in Millionenhöhe zukommen sollten, die dringend anderweitig gebraucht werden könnten. Doch eine Unterstützung des VfL ist politisch vollkommen legitim, alle Finanzhilfen hatten im Stadtrat eine demokratische Mehrheit.
In jedem Fall aber bleibt ein Transparenzproblem. Denn es geht um Steuergelder und das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zu ihrer Politik. Viele Beteiligte hüllen sich in Schweigen. Die Stadt Osnabrück ließ Anfragen unbeantwortet. Der VfL will sich auf Anfrage nicht äußern, stellte aber ein Hintergrundgespräch in Aussicht. Die lokale CDU ließ viele Fragen unbeantwortet. Ex-Oberbürgermeister Wolfgang Griesert, so hieß es aus CDU-Kreisen, könne Fragen detailliert beantworten. Dieser ließ jedoch mitteilen, „dass er sich in dieser Angelegenheit nicht äußern möchte.“ Unsere Recherchen sollen nach Angaben von Beteiligten schon vor Wochen im Verwaltungsausschuss der Stadt Osnabrück thematisiert worden sein. Drittligist VfL Osnabrück träumt derweil von einem abermaligen Aufstieg in die Zweite Bundesliga.