Im Interview erzählt die 33-jährige Osnabrückerin, wie sie zur Fliegerei kam, welcher Moment sie kurzzeitig aus der Bahn geworfen hat und warum sie auch ein Auge aufs Wetter haben muss.
Hallo Steffi, wir waren mal Kolleginnen und kennen uns ganz gut. Ich wusste, dass Du während des Volontariats einen Flugschein gemacht hast und folge seit einiger Zeit Deinem Instagram-Kanal, wo Du unter @aviatress_steffi regelmäßig aus Deinem Pilotinnenleben postest. Erzähl doch mal, inwieweit ist der Flugsport von Corona betroffen. Wie sieht es aktuell bei Euch im Verein aus?
Im Frühjahr startet immer die Segelflugsaison. Im vergangenen Jahr hatten viele Angst, dass das überhaupt nichts wird. Kurz danach war dann klar, dass das Fliegen mit Auflagen doch klappen kann. Wir haben im Luftsportverein Wittlage verschiedene Hygienekonzepte entwickelt und konnten weiterhin fliegen. Jetzt ist wieder eine ähnliche Situation, nur verschärft.
Wie kann man sich die Situation aktuell vorstellen?
Als Mitglied des Vereins darfst du nur zum Platz, ein bisschen Flugvorbereitung machen und dann wegfliegen. Dann kommst du irgendwann wieder, machst die Nachbereitung und verlässt das Gelände. Ich darf mich zum Beispiel nicht mit mehreren Vereinsmitgliedern auf der Terrasse treffen und aufhalten.
Was bist Du für ein Fliegertyp, wenn man das so sagen kann?
Ich mache Motorflug, mein Mann auch Segelflug. Das führt dazu, dass wir unter normalen Bedingungen fast jedes Wochenende und große Teile unserer Freizeit am Flugplatz verbringen. Da treffen wir unsere Freunde und Vereinskameraden. Das ist wie eine große Familie.
Das ist sicher das, was Vereinsleben ausmacht, oder?
Ja, absolut. Ich hätte nie gedacht, dass ich einen Vereins-Typ bin (lacht). Die Fliegerei hat meinen Blick darauf völlig verändert. Ein klassischer Tag besteht aus ein bisschen chillen, etwas essen, unterhalten, fliegen. Im Sommer grillen wir gemeinsam. Leider ist das aktuell alles gestrichen.
Du hast gesagt, Du warst eigentlich kein Vereinstyp. Wie bist Du denn in die „Szene” reingerutscht?
Ich war damals Volontärin beim Wittlager Kreisblatt in Bad Essen und bin während der Arbeit auf eine Meldung gestoßen. Ich glaube, es war der Hinweis auf den Flugtag am 1. Mai. Da ist bei uns im Verein unter normalen Bedingungen immer ein Riesenspektakel. Ein bisschen wie Jahrmarkt. Diese Meldung hatte ich gesehen und wollte spontan eine Reportage darüber schreiben. Ich hatte grundsätzlich Interesse an dem Thema Fliegerei, aber ich hätte nicht gedacht, dass ich einfach einen Flugschein machen kann.
Wie ging es dann weiter?
Mein Chef war einverstanden mit der Themenidee und dann bin ich zum Flugplatz gefahren. Ich war als Reporterin für einen Segelflug angemeldet und musste lange warten. Mittlerweile weiß ich, dass das total normal ist. Es kann eben ein paar Stunden dauern, bis du in die Luft kommst. Und dann hat mein späterer Fluglehrer gesagt: „Lass uns doch vorher noch eine Runde im Ultraleichtflugzeug (UL) machen“. Dieser erste Flug mit dem UL war großartig, das hatte ich vorher noch nie gemacht. Das hat mega Spaß gemacht.
Ab dem Moment warst Du angefixt?
Total, ja! Ich hatte vorher schon mal den einen oder anderen Flug in einer normalen Cessna mitgemacht. Aber ich dachte immer, das ist ultrateuer, kompliziert und aufwendig.
Seid Ihr dann noch mit dem Segelflieger gestartet?
Ja, nach ein paar Stunden sind wir noch im Segelflugzeug geflogen. Und was ich jetzt weiß: Es war schlecht, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt nichts gegessen hatte. Mit leerem Magen fliegen ist keine gute Idee. Ich bin in den Doppelsitzer eingestiegen, wir sind eine Runde geflogen. Ich glaube, ich war noch nie so kreideweiß (lacht). Ich bin ausgestiegen, mir war komplett übel. Ich bin überhaupt nicht mehr klargekommen. Und da dachte: Okay, so ein Segelflugzeug ist nicht mein Ding. Übergeben musste ich mich zum Glück aber nicht.
Hat Dir die Art des Segelfliegens zugesetzt?
Beim Segelfliegen gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man wird mit einer Seilwinde hochgezogen, so machen wir es in der Regel. Ein Seil schleppt dich dann hoch. Du hast das Gefühl, dass du mit einer Rakete abgeschossen wirst. Also für mich fühlt es sich zumindest so an. Oder ein anderes Flugzeug schleppt den Segelflieger. Die beiden Flugzeuge sind durch ein Seil verbunden. Diese Variante ist ein bisschen sanfter, weil es nicht so rasant hochgeht. In der Luft gleitest du entweder ab, wenn du keine Thermik hast. Oder du findest Thermik und kreist dann so lange, bis du eine Höhe hast, mit der du arbeiten kannst.
Und dann bist Du aus diesem Flugzeug gepurzelt und warst nicht sofort kuriert von der Idee der Fliegerei?
Vom Segelflug schon. Beim Ultraleichtflugzeug war das anders. Ich habe den Fluglehrer gefragt, was man für einen Schein machen muss, wie teuer der ist. So habe ich rausgefunden, dass ich sogar mit meinem Volontärsgehalt die Ausbildung anfangen konnte. Das habe ich dann gemacht.
Kann man sich den Führerschein wie bei einem Auto vorstellen?
Im Prinzip schon. Es hängt allerdings stärker davon ab, wie schnell man lernt. Du musst das Flugzeug sicher landen können. Da gibt es Leute, die brauchen länger und andere eben weniger lang. Ansonsten ist es aber tatsächlich sowohl vom Finanziellen als auch vom Aufwand her ungefähr vergleichbar mit dem Autoführerschein.
Das Wetter spielt wahrscheinlich immer eine wichtige Rolle, oder?
Ja, du bist hundertprozentig abhängig vom Wetter. An einem Tag wie heute (Anm. d. R. Graupel, Regen, Wind, stark bewölkt) kannst du einfach nicht fliegen, das geht nicht. Wir sind VFR-Flieger, das steht für Visual Flight Rules und bedeutet, dass wir nach Sicht fliegen und nicht nach Instrumenten. Das heißt, wir brauchen Licht und Wetterbedingungen, die sicher sind. In einem Regenschauer zum Beispiel siehst du kaum etwas, in einem Schneeschauer kann man es komplett vergessen. Starker Nebel ist auch heftig. Wenn du da reinfliegst, dann ist das sehr gefährlich bis tödlich. Also gucken wir vorher sehr intensiv, was mit dem Wetter ist.
Also bist Du auch Wetterexpertin?
Ich habe mich ganz gut eingearbeitet, das gehört dazu. Es gibt beim Deutschen Wetterdienst (DWD) einen
Bereich fürs Fliegen. Du kannst einfach beim DWD anrufen und sagen: Hallo, ich möchte heute von X nach Y fliegen. Wie ist die Wetterlage? Die Wetterexperten dort geben genau Auskunft. Aber es gibt auch Apps, wo man selbst nachschauen kann. Ich interessiere mich für das Wetter. Deswegen habe ich mich da ein bisschen reingefuchst und mehr gelesen, als die Theorie es erfordert hätte.
Ist ein bestimmtes Kontingent an Flügen pro Jahr vorgeschrieben?
Ich muss bei meinem Modell zwölf Stunden pro Jahr machen, damit alles auf Stand ist. Wir machen alle zwei Jahre vom Verein eine Überprüfung mit einem Fluglehrer, um einfach sicher zu sein.
Hast Du ein eigenes Flugzeug?
Die Flugzeuge werden über den Verein gechartert. Das habe ich bisher immer gemacht. Wir haben im Ultraleichtbereich zwei Flugzeuge: eine Schulungsmaschine, die ich bisher vor allem geflogen bin, und eine etwas schnellere. Wir schauen jetzt aber auch, ob wir ein eigenes Flugzeug finden. Dann ist man ein Stück flexibler.
Wenn Du startest, hast Du immer ein festes Ziel vor Augen?
Nein. Die meisten Flüge sind eher so, dass man einfach mal eine Runde fliegt. Und dann gibt‘s halt die Ziele, wie zum Beispiel kleine Flugplätze, davon gibt es zig Tausende überall in Deutschland, die ganz unterschiedlich sind – von Flughäfen bis zu kleinen Flugplätzen. Es gibt auch Plätze mit ganz kurzen Landebahnen, wo keine größeren Maschinen landen können. Das ist dann die sportliche Herausforderung, diese anzufliegen und nichts kaputt zu machen. Und dann gibt‘s die klassischen Flüge auf die Inseln. Diese Trips muss man ein bisschen planen. Du musst sicher sein, dass du morgens gut hin- und abends gut zurückkommen kannst. Die ideale Vorstellung ist: Du fliegst morgens früh hin, verbringst den ganzen Tag am Meer und fliegst abends zurück. Dafür brauche ich von Platz zu Platz ungefähr eine Stunde.
Was war Dein bisher beeindruckendstes Erlebnis beim Fliegen?
Ich hatte ein richtig cooles und ein sehr unangenehmes Erlebnis. Das coolste Erlebnis war noch relativ am Anfang meiner Fliegerei. Das war einer meiner ersten Alleinflüge. Das ist, wenn man das erste Mal ohne Fluglehrer unterwegs ist. Ganz am Anfang machst du nur drei Platzrunden. Aber dann machst du auch Flüge zu anderen Plätzen. Das gehört zur Ausbildung. Ich bin ganz langweilig nach Atter geflogen, einer unserer Nachbarplätze. Es war Sommer, nachmittags, die Maschine lag ganz ruhig in der Luft. Da war keine Thermik, kein Wind, keine Böen und es war so wie auf Schienen. Das Flugzeug hat alles gemacht, was ich wollte, und das war ein ultimatives Gefühl von Freiheit. Ich glaube, ich habe mich vor- und hinterher nicht mehr so frei gefühlt, wie in diesem Moment. Ich hatte eine geile Perspektive und das, was ich in dem Moment gemacht habe, hat mich komplett ausgefüllt und war einfach nur großartig, wirklich pure Großartigkeit.
Und welcher Moment war eher unangenehm?
Den hatte ich nach der Ausbildung. Das war ein wirklich krasser, unangenehmer Moment, der mich dann erstmal ein bisschen aus der Bahn geworfen hat. Ich bin allein geflogen. Ich weiß nicht mehr, wo ich herkam, aber ich war im Landeanflug und war kurz vor dem Aufsetzen. Ich vermute, mich hat eine Böe erwischt. Sie hat den Flügel auf der einen Seite so ein bisschen hochgedrückt und ich stand für einen Moment gefühlt total schief in der Luft. Die gefährlichsten Momente beim Fliegen sind Start und Landung. Da kann theoretisch am meisten schiefgehen. In dem konkreten Moment war zwar objektiv betrachtet nichts wirklich gefährlich, es hat sich aber blöd angefühlt.
Und was hast Du in dieser Situation gemacht?
Rückblickend hat alles gut funktioniert. Ich habe Vollgas gegeben, bin durchgestartet, weil ich mir nicht sicher war, ob ich sicher aufkomme. Man will dann die Belastungen fürs Fahrwerk und für das gesamte Flugzeug verhindern. Es ging alles super schnell.
Und dann?
Es nützt ja nichts, du sitzt allein in diesem Ding und entweder landest du es ordentlich oder nicht. Ich kann ja nicht mal eben rechts ranfahren und kurz durchatmen. Es gibt beim Ultraleichtflugzeug die Möglichkeit, ein Rettungssystem zu ziehen. Das ist aber nie eine Option, wenn du den Flieger irgendwie noch
ansatzweise landen kannst.
Das heißt, es gibt einen Schleudersitz für alle Fälle?
Jedes Ultraleichtflugzeug hat eine eingebaute Rakete und daran ist ein Fallschirm befestigt. Der kann das komplette Flugzeug mit Insassen landen. Das macht man aber wirklich nur im äußersten Notfall, wenn zum Beispiel eine Tragfläche oder die Ruder beschädigt sind.
Das war in der Situation keine Option. Wie ging es dann weiter?
Ich habe die Maschine dann ohne Probleme gelandet. Es war alles gut, aber ich bin ausgestiegen und habe total gezittert. Im Nachgang habe ich mit vielen Vereinsmitgliedern über den Vorfall gesprochen. Im Zweifel können die das besser einschätzen, haben mehr Erfahrung und holen mich wieder ein bisschen runter, weil das Ganze von außen offenbar überhaupt nicht spektakulär ausgesehen hat. Danach hatte ich buchstäblich Flugangst. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich an dem Punkt war, an dem mir das Fliegen wieder Spaß gemacht hat und ich mir sicher war, dass ich das weitermachen will. Es gibt immer wieder Leute, die aus Angst falsche Entscheidungen treffen. An den Punkt wollte ich nie kommen. Es ist immer noch ein Hobby. Ich habe mich dann so langsam wieder herangewagt, bin ganz viel geflogen, auch bei anderen mitgeflogen. Mein Fluglehrer und Vereinskameraden haben mich unterstützt und dafür gesorgt, dass ich jetzt wieder auf einem Niveau bin, wo es mir einfach nur Spaß macht.
Bist Du als junge Frau allein auf dem Flugplatz oder gibt es auch andere Pilotinnen?
Gute Frage. Nachdem ich dieses Durchstartmanöver hatte, habe ich ein bisschen geguckt und mich gefragt: Was ist eigentlich um mich herum? Was gibt‘s da für Vorbilder? Hier in Deutschland gibt es eine Vereinigung von Pilotinnen, „Hexen“ nennen die sich. Bei uns im Verein gibt es im Bereich Segelflug mehrere Pilotinnen. Wenn du dir dann diejenigen anschaust, die sehr lange dabeibleiben, dann sind es aus meiner ganz subjektiven Sicht eher die Männer. Wir haben im Verein viele Ältere dabei, die seit Jahrzehnten fliegen. Da findest du aber keine einzige Frau. Je jünger, desto mehr Frauen. Da ist immer die Frage, wie lange die dann dabeibleiben. Ich fühle mich aber total wohl in der Community, da ist es total egal, ob du Frau oder Mann bist.
Man merkt, Du bist mit absoluter Leidenschaft dabei.
Ja! Wenn es richtig gut läuft, bin ich mindestens einmal in der Woche in der Luft und das ist auch immer wieder ein Kick, weil es jedes Mal wieder richtig Spaß macht. Und wenn ich an einem Sonntag ein Stündchen geflogen bin, dann gibt das Energie für die ganze Woche. Es gibt auch immer wieder neue Ziele, die man sich setzt. Ich würde gerne demnächst selbst auf Baltrum landen. Die haben die kürzeste Landebahn von allen Nordseeinseln und das ist eine neue Herausforderung.
Info:
Stefanie Witte ist 33 Jahre alt. Sie arbeitet seit 2013 für die Neue Osnabrücker Zeitung, seit mehreren Jahren als Redakteurin im Themenbereich Politik und Wirtschaft. Weitere Infos zum Verein unter: https://lsv-wittlage.de/news.php