Was tun, wenn der Freund behauptet, ein „Deutscher Meister“ zu sein? Und dann noch im Faustball, wo man nicht mal eben das Ergebnis googeln kann – wie etwa beim Fußball. Da hätte ich die Meistergeschichte schnell gegengecheckt. Also warum nicht eine Geschichte über Faustball schreiben und gleichzeitig mit einer Legende aufräumen? Ein Besuch in Bramsche, bei einer Faustball-Koryphäe, die es wissen muss.
Aber erst mal von vorne: Fußball, Basketball, Handball – Ballsportarten, die eigentlich jedem bekannt sein sollten. Aber was ist dieses Faustball? Na, ist das ein Begriff? Vermutlich nicht, denn Faustball fristet heute ein eher bescheidenes Dasein. Das war allerdings früher anders: In den 1950er- und 1960er-Jahren war Faustball eine durchaus bekannte und beliebte Sportart – auch im Norden Deutschlands rund um Hamburg, Bremen und Oldenburg, aber auch in Hannover und Berlin. Und der Osnabrücker SC spielte 1974 und 1975 die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft der weiblichen Jugend. Nun zurück zur Legende. Ein Besuch in Bramsche soll Licht ins Dunkel bringen. Ich treffe Bert Märkl und er ist einer, der sich mit Faustball auskennt. Aufgewachsen ist er in Bremen-Blumenthal. Seit seiner Kindheit stand er auf diversen Plätzen oder in Hallen Deutschlands und hat Faustball entweder selbst gespielt, als Trainer am Spielfeldrand Kommandos gegeben, als Schiri aufgepasst oder war als Bundesjugendfachwart und Zuschauer dabei. Er ist eine echte Koryphäe im Faustballsport und hat so manche Trophäe für seinen Verein geholt.
Der Vater ein ehemaliger Feldhandball-Torwart
Zum Faustball ist der heute 67-Jährige durch seine Eltern gekommen, sie waren seine Vorbilder. Beide sehr sportlich, der Vater ehemaliger Feldhandball-Torwart und leidenschaftlicher Faustballer. So kam der kleine Bert Märkl schon früh mit dem Sport in Kontakt. Mit fünfzehn Jahren – nach dem klassischen Kinderturnen – fing er an. Sein Verein war und ist noch immer der Blumenthaler TV in Bremen-Nord. Dem ist er seit über 60 Jahren als aktives Mitglied treu geblieben. Dort hat er auch seine Frau kennengelernt – sie war damals Leistungsschwimmerin.
Wenn Märkl von Faustball spricht, dann ist er in seinem Element. Namen, Jahreszahlen, Erfolge – es sprudelt nur so aus ihm heraus. Im Wohnzimmer stehen diverse Aktenordner in Reih und Glied in einem Schrank – etliche Vereinshefte und Zeitungsartikel hat er gesammelt und darin abgeheftet. Ein Griff und Märkl kann genau sagen, welches Spiel, wann, wo und wie ausgegangen ist. Perfekt. Ich gebe ihm meine spärlichen Informationen: Altes Land, Ende der 1990er, Deutscher Meister. Bert Märkl kann damit sofort etwas anfangen. Er holt den Ordner, blättert zielgerichtet und findet die passende Seite. Und da steht es: „Deutsche Meisterschaften im Hallenfaustball der männlichen Jugend U16, Jahr 1997-98, Meister: TuS Jork“. Sogar ein Endspielprotokoll liegt dabei – meine Zweifel sind nun nicht mehr angebracht. Mein Freund war Deutscher Meister. Natürlich kennt Märkl auch den Trainer von damals: Johann Winkelmann aus Jork – der Onkel und Trainer meines Freundes. Sagt Johann denn auch der Name Bert Märkl etwas, frage ich mich? Ich rufe ihn ein paar Tage später an und frage nach. Na klar! In der Szene kennt man sich einfach: „Ich habe Bert Märkl als gerechten, aufrichtigen und fairen Sportsmann kennengelernt“, sagt Johann Winkelmann. Er war damals ebenfalls nationaler Schiedsrichter. So haben sie sich immer mal wieder bei Spielen getroffen.
Ein wandelndes Faustball-Geschichtsbuch
Märkl ist ein wandelndes Faustball-Geschichtsbuch. Bis heute hat er jedes Blättchen der „F.I. Faustball-Informationen“ aufgehoben und abgeheftet. Er blättert in den alten Vereinsheften und Zeitungsartikeln. „Das ist mein Vater“, sagt er und zeigt auf ein Schwarz-Weiß-Bild, darauf die Bremer Faustball-Landesmeister von 1961. Auch zu seinen ehemaligen Teamkollegen hat Märkl nach wie vor Kontakt: „Beim Faustball haben sich echte Freundschaften entwickelt. Man hatte damals feste Mannschaften, die blieben meist ein Leben lang zusammen.“ In seinem Keller hütet Märkl weitere Faustball-Schätze: „Ich schrieb schon als Schüler für die ‚Norddeutsche Volkszeitung‘. Als freier Mitarbeiter verfasste ich regelmäßig Spielberichte und habe damit später mein Studium und Hobby finanziert. Es gab sehr viel zu berichten und gutes Zeilengeld! Heute existiert die Zeitung nicht mehr, sie wurde vom ‚Weser Kurier‘ übernommen“, blickt Märkl zurück. Und natürlich sind alle Artikel fein säuberlich aufgeklebt, abgeheftet und in Ordner einsortiert. Aber auch Spielberichte aus der Vorkriegszeit, Dokumente und Protokollbücher, die in den zwanziger Jahren und während der Nazizeit entstanden sind – rund 160 Jahre Vereinsgeschichte ruhen in seinem Keller. Ein ganzes Vereins- und Faustballarchiv hat Märkl mittlerweile. Aber das muss er auch, denn er ist nach wie vor für seinen Blumenthaler TV tätig – nicht mehr mit der Faust, er ist für das Archiv und die Vereinszeitung zuständig und wurde in den Ältestenrat gewählt. „Das kann ich gut von Bramsche aus machen“, sagt Märkl. Natürlich geht auch die neue Heimat nicht leer aus: Beim TuS Bramsche ist Märkl seit 20 Jahren stellvertretender Vorsitzender, mit Faustball hat er dort aber nichts zu tun.
Bert Märkl blättert durch Faustballerinnerungen. Foto: Kathrin Pohlmann
Ab 1967 war Bert Märkl aktiver Spieler. „Wir hatten damals gar keinen Trainer und mussten selbst zusehen, dass wir am Übungsabend bei den Erwachsenen mitspielen durften. Das war nicht einfach, aber 1971 wurden wir Bremer Jugendmeister.“ 1980 dann gelang ihm mit seiner Mannschaft sogar der Aufstieg in die 2. Bundesliga (damals Regionalliga), der vielleicht größte Erfolg als Spieler. „An jedem Wochenende waren wir unterwegs. Wir haben glücklicherweise in einer Liga mit Berlin gespielt und das war für uns natürlich eine tolle Zeit. Die Transitstrecke kannten wir auswendig, aber wir haben auch das West-Berliner Nachtleben genossen“, sagt Märkl. Den letzten sportlichen Erfolg gab es für ihn 2013: 3. Platz beim Deutschen Turnfest in Mannheim in der Männerklasse über 60.
Bert Märkl ganz links. Foto: Archiv Märkl Ein Blick ins Familienalbum: Faustball darf nicht fehlen. Foto: Archiv Märkl
1972 übernahm er gemeinsam mit einem älteren Freund das erste Traineramt, im Übrigen vollkommen ehrenamtlich wie sein Leben lang. „Ich habe damals gleich meine Schwester in der weiblichen C-Jugend trainiert. Sie ist fünf Jahre jünger als ich. Da bin ich auch mal laut geworden“, gibt er zu. Kaum vorstellbar bei diesem ruhigen und entspannten Mann. Die Blumenthaler Jugendmannschaften gehörten seitdem fast zwanzig Jahre lang zur deutschen Spitzenklasse, auch dank Bert Märkl. Er wurde 1976 mit seinen Mädchen in Wangen im Allgäu Deutscher Vizemeister der weiblichen A-Jugend. Als größte Erfolge folgten dann 1978 in Ludwigshafen der Gewinn der Deutschen Jugendmeisterschaft und schließlich 1981 in Bardowick der Wiederaufstieg in die 1. Frauen-Bundesliga mit seiner ehemaligen Schüler- und Jugendmannschaft. „1975 waren wir da mit etwas älteren Spielerinnen schon Gründungsmitglied. Solche Pioniertaten vergisst man nicht. Und an solche Erfolge gewöhnt man sich nie. Es war immer ein tolles Gefühl“, schwärmt Märkl. Doch auch Schicksale gehörten dazu: „Unsere Damen spielten 1999 in Kulmbach in Bestform um den Hallenfaustball-Europapokal. Während des für uns am Ende gewonnenen Halbfinales ist dann vom Team zunächst unbemerkt der Vater unserer Hauptangreiferin auf der Tribüne zusammengebrochen und verstorben. Das war alles sehr dramatisch und emotional.“ Das Endspiel wurde auf Wunsch auch des Endspielgegners sofort ausgesetzt und erst drei Monate später im März 2000 beim TV Voerde nachgeholt. „Das war sportlich einmalig fair und die dort dann folgende knappe Niederlage war für uns überhaupt nicht schlimm! Nie haben wir einem Gegner mehr den Sieg gegönnt.“
Dem Faustball blieb er immer treu
Ab 1998 widmete Märkl sich vorrangig seinem Beruf als Schulleiter in Bramsche und später als Schulaufsichtsbeamter. Doch dem Faustball blieb er immer treu. Bis 2018 war er A-Schiedsrichter und hat Bundesligaspiele und Deutsche Meisterschaften gepfiffen. „Den Schein muss man mit 65 Jahren definitiv abgeben“, erklärt er das Laufbahnende. Märkl ist dafür nun Mitglied im Präsidium der Deutschen Faustball-Liga und dort zuständig für Recht und Ordnungen. Viele Streitigkeiten gebe es im Faustball aber nicht. Er scheint ganz froh zu sein, dass er in seiner Position als Schiedsgerichtsvorsitzender nicht viel zu tun hat. Nicht weil er die Arbeit scheut, sondern weil es keinen Zank gibt.
Foto: Archiv Märkl
Seine drei Kinder sind keine Faustballer geworden. „In Blumenthal wäre das wahrscheinlich anders gekommen, aber in Bramsche waren beide Jungs sofort beim FCR auf dem Fußballplatz unterwegs und als Jugendliche für den TuS und die Schule sehr erfolgreich auf dem Wasser beim Rudern“, berichtet Märkl nicht ganz ohne Stolz. „Meine Tochter hat wettkampfmäßig im TuS Bramsche geturnt, am liebsten auf dem Schwebebalken“. Er bedauert, dass Faustball mittlerweile insbesondere in vielen großen Städten nur noch ein Nischendasein führt. Absolute Hochburgen finden sich aber nach wie vor in ländlichen Bereichen, zum Beispiel im Landkreis Oldenburg. Bundesweit ca. 7000 Aktive sind fest im Ligaspielbetrieb registriert. „Die Nachwuchsarbeit ist das A und O, sie ist leider selbst in vielen Traditionsvereinen oft vernachlässigt worden. Vielleicht auch, weil viele Aktive ihre Laufbahn in den sehr beliebten Altersklassen fortsetzen und nicht als Trainer und Betreuer zur Verfügung stehen.“ Das mache sich heute bemerkbar. An Bert Märkl hat es auf jeden Fall nicht gelegen. Und er fügt optimistisch hinzu: „Es gibt auch Lichtblicke. So entsteht in Leipzig gerade eine junge Faustballszene.“