Einradfahren ist alles andere als leicht. Das hat unsere Reporterin Kim Wilmering bei ihrem Besuch in der Einrad-Hochburg Schwege erfahren. Dort sammeln junge Athletinnen seit Jahren reihenweise Medaillen von nationalen und internationalen Meisterschaften. Sie sprinten mit dem Einrad so schnell, wie manch einer es kaum mit dem Fahrrad schaffen würden.
Artisten und Artistinnen, die sich federleicht und elegant in einer bunt beleuchteten Manege kunstvoll bewegen. Das sind die Bilder, die mir durch den Kopf gehen, wenn ich an Einradfahren denke. Doch dass Einradfahren eine ambitionierte Sportart ist, wusste ich nicht. Auch nicht, dass es weitaus schwieriger ist, als es aussieht.
Ich habe die Einradfahrerinnen und -fahrer von Blau-Weiß Schwege besucht. Schwege liegt im Südkreis und ist ein Ortsteil von Glandorf. Die Gegend ist eine echte Hochburg dieser besonderen Sportart. Denn der Schweger Einradverein ist ziemlich erfolgreich.
An einem Samstagvormittag trete ich in die Schweger Sporthalle. In der Halle sausen lachende Kinder auf ihren Einrädern mühelos umher. Doch ganz so einfach, wie das auf den ersten Blick aussieht, ist das Einradfahren nicht. Das werde ich als Anfängerin später selbst noch feststellen. Neben der gemischten Truppe, die ich an diesem Tag besuche, gibt es noch die Fortgeschrittenen-Gruppe, in der zwölf Mädchen im Alter von 14 bis 17 Jahren trainieren. Es gibt noch eine Anfängergruppe, für Kinder im Alter von fünf bis sechs Jahren, und noch zwei weitere Nachwuchsgruppen, für Kinder im Alter von acht bis 13 Jahren und von sieben bis elf Jahren.
Zunächst darf ich am Hallenrand Platz nehmen. Fröhlich fahren die Kinder im Alter von acht bis 17 Jahren unter der Anleitung von Leonie Brandwitte umher und zeigen unterschiedliche Übungen. Mir wird schnell klar, dass Zusammenhalt in der Gruppe wichtig ist. Die Trainierenden halten sich an den Händen, fahren im Kreis und bilden weitere Formationen. Ein einziger Fehler kann die ganze Gruppe durcheinanderbringen. Scheinbar mühelos fahren sie aufeinander zu, bilden unterschiedliche Figuren und sind perfekt aufeinander abgestimmt. Wenn doch mal jemand die Balance verliert, ermutigen Trainerin Leonie und die anderen Kinder dazu, wieder aufzustehen.
Leonie, 21 Jahre, trainiert alle vier Jugendgruppen – dabei wird sie in drei Gruppen von Sophia und Sonja unterstützt – und ist in ihrem Lieblingssport zudem noch sehr erfolgreich. Seit ihrer frühen Kindheit ist sie einradbegeistert. Leonie organisiert und trainiert in Schwege und hat bereits mehrere Medaillen bei deutschen Meisterschaften gewonnen. Sie hat auch an mehreren Welt- und Europameisterschaften teilgenommen. Dabei war sie so erfolgreich, dass sie bei den Weltmeisterschaften 2016 im Rennen der U17 über 100 Meter Silber gewann. 2017 holte sie bei den Europameisterschaften beim U19-Rennen über 100 Meter Bronze. Auf dem Einrad braucht Leonie für die Strecke etwa 14 Sekunden.
Nach dem Training sitze ich mit Leonie Brandwitte, ihrer Schwester Sonja und ihrer Trainingsfreundin Julia Potthoff auf dem Hallenboden. Auch die 16-jährige Sonja und die 14-jährige Julia sind sehr erfolgreich. Beide standen bei deutschen Meisterschaften schon mehrmals auf dem Siegerinnenpodest. Sonja holte zudem vor einigen Jahren WM-Silber und EM-Gold in ihrer Altersklasse. Wir unterhalten uns über das Einradfahren als Sportart:
Ihr nehmt ja alle auch zusätzlich zu Eurem Training in der Halle an Wettbewerben teil. Was macht Ihr da genau?
Leonie: Es gibt Unterschiede zwischen dem Training hier vor Ort in der Halle und dem Training in Kooperation mit der Einradgemeinschaft Münsterland in der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf draußen. In der Halle lernen die Kinder vor allem die Grundlagen und sollen Spaß haben. Wir lernen da neue Tricks, fahren Formationen und üben für Auftritte.
Sonja: Draußen auf der Bahn trainieren wir dann für Rennen.
Was ist beim Einradfahren besonders wichtig und was sollte man dafür mitbringen?
Leonie: Da gibt es keine allgemeingültige Grundvoraussetzung. Motivation und Durchhaltevermögen sind aber von Vorteil. Für manche Übungen kann man schon etwas länger brauchen. Aber Einradfahren lernen kann jeder. Das Alter ist da egal.
Und was begeistert Euch am meisten?
Leonie: Es ist einfach total vielseitig. In der Halle können wir viel zusammen machen und es gibt ein großes Wir-Gefühl in den Gruppen. Beim Bahntraining, also draußen, kann man zusammen üben, doch schlussendlich kommt es auf die eigene Leistung an. Man kann da richtig Ehrgeiz entwickeln und hat dann auch Lust, sich weiterzuentwickeln.
Sonja: Für mich ist es auch die Vielfältigkeit. Man kann ehrgeizig und sportlich sein, aber dann, wie in der Halle, auch wieder total kreativ sein.
Julia: Das sehe ich auch so. In der Bahn kommt es sehr auf die Schnelligkeit an und in der Halle kann man dann coole Tricks üben.
Nach dem Gespräch und all den Eindrücken will ich mich nun auch auf das Einrad trauen. Ich bin nicht ganz unerfahren. Als Achtjährige war ich selbst ein paar Monate im Einradverein des Sportvereins Schwagstorf. Allerdings war ich wenig erfolgreich. Jetzt will ich es noch einmal wissen. Schon der Aufstieg ist gar nicht so leicht.
Doch Leonie und Julia stützen mich von beiden Seiten und sorgen dafür, dass ich nicht direkt wieder umkippe. Sonja steht vor mir und gibt mir Tipps. „Bei so viel Unterstützung kann ja nichts schief gehen“, denke ich und trete schon in die Pedalen. Sonjas Tipps nehme ich dankbar an und versuche, sie bestmöglich umzusetzen. Ohne Hilfe gelingt mir wirklich nicht viel und ich merke, wie wichtig es ist, sein Gleichgewicht zu halten. Was von außen so einfach aussah, hat total viel mit Mut und Körperspannung zu tun.
Als Fahrer oder Fahrerin muss man einfach loslassen, sich trauen und die Angst vor dem Fall überwinden. Das möchte ich jetzt auch. Mein Erfolg ist aber recht kurz. Ich falle nach einigen Sekunden des freien Fahrens vom Einrad. Zum Glück sind die Mädels zu meiner Unterstützung da, sprechen mir gut zu und helfen mir schnell wieder aufs Rad. Etwas später traue ich mich mit viel Hilfe, rückwärts zu fahren. Das macht echt Spaß, auch wenn ich nur sehr, sehr langsam bin. Einradfahren ist definitiv nicht kinderleicht. Aber ich verstehe den Spaß, den die Trainierenden an ihrer Sportart haben. Nach jeder Überwindung und jedem eingeübten Trick kann man stolz auf sich sein.
Doch warum ist Schwege eigentlich Einrad-Hochburg? Der Einradverein, so wie es ihn heute gibt, besteht seit zehn Jahren. Davor war alles wesentlich kleiner und auch das Training war einfacher gehalten. Leonie, die damals zwölf Jahre alt war und sich als Kind das Einradfahren selbst beibrachte, hat dann die Gruppe übernommen und zusammen mit anderen Eltern und Kindern das Einradfahren zu dem gemacht, was es heute in Schwege ist.
Seitdem gibt es für die Einradbegeisterten vor Ort Grundlagentraining, wie das Einüben von Vor- und Rückwärtsfahren. Auch das Einüben von Kürelementen lernt man hier. Bei Auftritten, zum Beispiel beim Musical der Einradgemeinschaft Münsterland oder auf Pfarr-, Heimat- und Feuerwehrfesten, zeigen die Sportlerinnen und Sportler, was sie können.
Wer an Wettbewerben teilnehmen möchte, kann in Kooperation mit der Einradgemeinschaft Münsterland die typischen Renndisziplinen in der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf trainieren. Dazu zählen üblicherweise die Strecken über 100, 400 und 800 Meter, aber auch Disziplinen wie 30-Meter-Radlauf, 50-Meter-Einbein und IUF-Slalom.
Auch wenn aus mir keine Profi-Einradfahrerin mehr wird, hat mir der Besuch in Schwege Spaß gemacht und war inspirierend für mich. Insbesondere die Begeisterung der bunten Truppe für den Sport und der Zusammenhalt der Gruppe sind mir im Gedächtnis geblieben. Wenn einer fällt, ist das nicht schlimm. Man hilft und unterstützt sich. Das Wichtigste ist: Dranbleiben und Mut haben.
Text: Kim Wilmering l Fotos: Birgit Brandwitte, Kim Wilmering