Den folgenden Artikel haben wir in der ersten Ausgabe von „Sportlich unterwegs“, im Frühjahr 2020, veröffentlicht. Da nun der Schnee geschmolzen ist und wir erste bezaubernde Tage mit Sonne und blauem Himmel hatten, wollen wir Euch Minigolf schmackhaft machen. Irgendwann in den nächsten Wochen wird es auf den Bahnen der Region hoffentlich wieder losgehen…
Ich gestehe: Minigolf fasziniert mich. Während meiner Schulzeit habe ich mit meinen beiden damals besten Freunden beinahe täglich auf der Minigolfanlage unseres Heimatstädtchens gestanden. Wir haben verbissen eingelocht. Der Schlechteste musste bis zur nächsten Partie ein Lindt-Osterhasen-Glöckchen um das Handgelenk tragen, das in der Schule bei jeder Bewegung bimmelte. Welch eine Schmach! Welch eine Genugtuung für die beiden, die es nicht tragen mussten! Die 40er-Karte kostete damals 30 D-Mark. Die Minigolf-Schläger-Verleih-Mitarbeiterinnen waren unfreundlich, die Bahnen in schlechtem Zustand, die Schläger oft krumm, die Bälle abgenudelt. Egal. Minigolf war für uns: ein Ball, ein Schläger, 18 Löcher und eine Menge Spaß.
Nach dem Abitur trennten sich unsere Wege. Und mit dem Minigolf war für mich erst einmal Schluss. Doch 2010 meldete sich die Tageszeitung „taz“ bei mir: In Osnabrück, genauer: Im Nettetal, werden die Deutschen Meisterschaften im Minigolf ausgetragen. Ob ich nicht Lust und Zeit hätte, zu berichten. Ich zögerte keine Sekunde. Es war, als würde man eine alte Jugendliebe Jahrzehnte später in der Disko trifft. Es kribbelte.
Deutsche Meisterschaften
Ich war völlig begeistert von den Menschen aus ganz Deutschland, die diese Sportart dermaßen akribisch betrieben. Sie studierten die Hindernisse, fegten jeden Krümel von der Bahn. Helfer hielten Sonnenschirme, um den Wind fernzuhalten. Immer wieder Jubel, immer wieder Asse (mit einem Schlag ins Loch). Zwei Tage Vorrundenspiele, ehe am Samstag die Meister im Ausscheidungsmodus (Playoffs) ausgespielt wurden. Mann gegen Mann beziehungsweise Frau gegen Frau. Wer an einer Bahn weniger Schläge braucht, bekommt einen Punkt. Nach 18 Löchern dann ein Endergebnis. Ein Sieger, ein Verlierer. Nervenkitzel pur.
2010 habe ich auch Ingo Hoogen kennengerlernt. Für den heute 41-Jährigen ist Minigolf: etwa 80 Bälle, ein Schläger, meist mindestens 72 Löcher, Berufung und zum Teil schon Beruf. Wir sind ein Jahrgang. Hoogen hat auch als Teenager mit einem Kumpel das Minigolfen angefangen. Er ging aber irgendwann einen Schritt weiter als ich: Hoogen hatte keinen Bock mehr auf das Equipment der Minigolfanlage am Rubbenbruchsee („Budenschläger“). Er besorgte sich eigene Bälle und Schläger und fing an zu tüfteln.
Minigolf ist nämlich eine Materialschlacht. Das habe ich 2010 bei den Deutschen Meisterschaften im Nettetal, ausgerichtet vom Verein für Bahnengolf (VfB) Osnabrück, gelernt. Das Turnier war eine Sternstunde in der Vereinsgeschichte des VfB, der 2003 vom Rubbenbruchsee nach Oesede zog, um dann drei Jahre später im Nettetal neben der Gaststätte Knollmeyer heimisch zu werden. Ingo Hoogen und Peter Dettmer haben das Ding damals auf einer Wiese aufgezogen. Sie haben einen sechsstelligen Betrag in die Hand genommen, um die Anlage aufzubauen und ein Freizeithighlight im Osnabrücker Land zu schaffen. Zwischen 2003 und 2006 hatte es von der Stadt Osnabrück für diverse Flächen im Stadtgebiet mit teils fadenscheinigen Argumenten Absagen gehagelt, erzählt mir Hoogen. Er und Dettmer suchten deswegen auch in der näheren Umgebung und wurden im Nettetal fündig. Nur vier Jahre nach dem Spatenstich tummelte sich Deutschlands Minigolf-Elite auf der Anlage und ermittelte die Deutschen Meister. Was für eine Geschichte! Ich schrieb damals: „Minigolf ist eine Randsportart. Zwar gibt es ein Verbandswesen mit gut 10.000 Spielern. Doch großzügige Sponsoren und großes Publikum sind eine Seltenheit.“
Bundesliga auf der Anlage im Nettetal
Daran hat sich zwar nicht viel geändert. Aber Ingo Hoogen und Freunde haben mit ihrem VfB rund um die selbstgebaute Anlage eine Menge auf die Beine gestellt. Im März 2019 fand beispielsweise der erste Spieltag der Bundesliga im Nettetal statt.
Hoogen und Mitspieler spielen in der Landesliga. Sie galten nach einigen Abgängen – zwei Spieler verordneten sich ein Jahr Minigolf-Abstinenz, ein junges Talent wurde abgeworben – in diesem Jahr als Abstiegskandidat. Am Ende der Saison landeten sie unter fünf Mannschaften auf Rang zwei und stiegen in die Verbandsliga auf. Ein Trainingstag vor Saisonbeginn mit Fachtrainern aus dem Stab der Nationalmannschaft und einigen Nationalspielern hatte sich bezahlt gemacht. Ingo Hoogen spricht sogar von einer „Leistungsexplosion“.
An den Spieltagen der Landesliga versammeln sich die Mannschaften auf der Anlage eines Teams. Dann werden die Bahnen gespielt, meist vier Mal. Schlussendlich werden die Schläge aller Spieler einer Mannschaft addiert. Die Nettetaler trainieren im Vorfeld auf den Bahnen der Konkurrenten. Sie reisen dann nach Essen oder Bad Salzuflen, um die Bahnen kennenzulernen.
Um einmal deutlich zu machen, auf welch hohem Niveau der VfB Osnabrück spielt: Ingo Hoogen brauchte in dieser Saison im Schnitt für 18 Löcher 29,2 Schläge. Dabei fallen die Ergebnisse je nach Belag noch sehr unterschiedlich aus. Auf Eternit-Bahnen benötigte er im Schnitt 24,75 Schläge, auf Beton fast 36. Im Nettetal gibt es übrigens sowohl 18 Eternit- als auch 18 Betonbahnen. Hoogens Rekord auf den 18 Eternitbahnen ist eine 19. Das bedeutet, dass nur ein einziger seiner Schläge nicht direkt ins Loch ging. Wahnsinn!
SAMSUNG CSC
2019 treffe Ingo Hoogen wieder, um einige Bälle auf der traumhaft schönen Anlage des VfB zu schlagen. Er ist in den vergangenen Jahren bärtig geworden. Wir entscheiden uns für Beton. Er klappt seinen Ballkoffer auf. Für Bahn Eins holt er einen „Deutschmann 084“ aus dem Koffer. Ingo Hoogen hat etwa 80 verschiedene Bälle, Durchschnittswert pro Ball: 18 Euro. Bezüglich der Bälle gibt es nur eine Vorgabe: Sie müssen einen Durchmesser zwischen 37 und 43 Millimetern haben. Das Material ist egal. Es gibt Bälle aus Glas. Die meisten sind jedoch aus Kautschuk-Mischungen. Hoogen hat Bälle, die springen wie Flummis. Und dann gibt es den Ball, der wie ein Kuhfladen liegen bleibt, wenn der Minigolfer ihn aus seiner Hand auf die Bahn fallen lässt. Es ist eine Wissenschaft für sich, je nach Beschaffenheit der Bahn den richtigen Ball auszuwählen. Und Hoogen ist Wissenschaftler. Er entwickelt seit einigen Jahren eigene Bälle und vertreibt sie und weiteres Equipment auf einer eigenen Webseite. Er hat dies zu einem zweiten beruflichen Standbein gemacht.
Talente
Der Ball „Deutschmann 084“ ist mittelschwer und weich. Er eignet sich gut für Bahn 1. An einer anderen Bahn zieht Hoogen einen Ball namens „Yannick Burdorf 2014“ aus dem Koffer. „Yannick hat das Spielen hier gelernt.“ Burdorf hat 2014 die Deutschen Meisterschaften der Jugendlichen gewonnen. Er ist irgendwann zu einem Verein nahe Bielefeld (MC Tigers Künsebeck) abgewandert, der noch etwas höher als der VfB spielt. Ein weiterer Ball trägt den Namen von Hoogens Tochter Lena. Sie gewann 2018 die Deutschen Meisterschaften für Schülerinnen. Eine Minigolf-Familie. Kleine Randnotiz: Hoogens Eltern wurden einst auf der Minigolf-Anlage am Rubbenbruchsee verkuppelt.
Mit Ingo Hoogen einige Bälle zu schlagen, ist ein Hochgenoss. Es ist eine Mischung aus Physikunterricht und Mentaltraining. Ich kann mit etwas Glück an den ersten beiden Bahnen einigermaßen mithalten – dann gehe ich baden. Der Profi demonstriert mir derweil geduldig besondere Bälle, Schwünge und Tricks. Ich lerne, dass man Bälle mit Effekt spielen kann (wie beim Tischtennis), dass man bei vielen Bahnen präzise über Bande spielen sollte (wie beim Billard), dass man sich fokussieren und konzentrieren muss (wie bei Darts oder Bogenschießen). Mich packt der Ehrgeiz. Vielleicht werde ich wieder etwas mehr trainieren. Vielleicht muss ich meine alten Freunde mal anrufen und herausfordern. Ein Lindt-Osterhasen-Glöckchen habe ich noch im Schrank.
Hier einige Infos zum Thema Minigolf: